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Die Geige

Ja, Frau Schneidereit, dass ich sie hier treffe, meine Güte, wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Letzte Woche? Nein! Doch? Meine Güte! Meine Güte!
Ist  das Wetter nicht furchtbar? Ach, gestern schien die Sonne?
Wissen Sie, diese Pianistin, die letzte Woche in der Konzerthalle auftreten sollte, die war zum Glück krank. Die lebt ja mit den Wölfen. Einem ganzen Rudel. Im Winter übt sie Klavier und im Sommer lebt sie mit den Wölfen. Wieso zum Glück krank?
Ich hatte doch keine Zeit, dem Konzert beizuwohnen. Ich war nämlich in Cottbus auf dem Klassentreffen, das war wirklich schön, auch die Stadt wiederzusehen, nach all den Jahren, und alle Schäden aus dem Krieg sind inzwischen beseitigt.
Wie geht es eigentlich Ihrem Mann? Tot? Mein aufrichtiges Beileid, wann ist es denn passiert? Vor drei Jahren? Meine Güte! Meine Güte!
Wissen sie, ich komme aus Cottbus, und meine Eltern haben damals auch dort gelebt und ich bin dort zur Schule gegangen. Und zum Klassentreffen bin ich mit der Bahn gefahren. Dieser neue ICE ist ja ein sehr schneller Zug, der fährt auf der Strecke nach Cottbus über einhundert Stundenkilometer, weil es sonst zu gefährlich wäre.
Meine Geigenschülerin für Fünfzehnuhr hat abgesagt, weil sie ihre Geige bei der Großmutter vergessen hat.
Und diese Pianistin, die lebt ja mit den Wölfen, das finde ich faszinierend, ich habe da auch einen Bildband zu Hause, den kann ich ihnen gerne leihen.
Als Kind, als ich damals Geigenunterricht hatte, habe ich einmal meine Geige im ICE vergessen, aber der freundliche Schaffner rief hinter mir her, als ich schon auf der Plattform stand und aussteigen wollte, oder war es ein anderer Fahrgast? Ich sehe den Moment noch vor meinem geistigen Auge, der ICE, der Rauch der Lok,
Das Klassentreffen war zum 50. Jubiläum der Volksschule, und ich sage auch meinen Musikschülern immer wieder, dass die Volksschule sehr wichtig ist, das sind ja die Grundlagen von allem, wenn man die Volksschule nicht abschließt, tut man sich später auf dem Gymnasium schwer.
Was sagen Sie denn zum Bundespräsidenten? Ist das nicht furchtbar? Übertrieben? Ja, völlig übertrieben, wie er da kritisiert wurde! Was, Rücktritt? Meine Güte! Meine Güte! Das hatten wir schon eine Ewigkeit nicht mehr, dass ein Bundespräsident zurücktritt! Ach, noch nie? Meine Güte, meine Güte!
Ach, Frau Schneidereit, es war schön, mal wieder mit ihnen gesprochen zu haben, ich muss jetzt aber wirklich weiter, bei all den schlimmen Sachen, die in letzter Zeit passieren, weiss ich gar nicht, wo mir der Kopf steht, der Rücktritt Ihres Mannes, der Tod des Bundespräsidenten, dieses furchtbare Wetter… Auf wiedersehen, Frau Schneidereit, auf Wiedersehen, meine Güte, meine Güte.

Dreitagebart

Tisch 4, Mittwochabend. Wie immer rücken die vier Paare noch einen anderen Tisch dazu, damit sie alle Platz finden.

Gleich bestellen sie Ihre Lattes, Cappus, Bagel, Salate.

Zehn Minuten später finden sie das Thema des Tages: Simi war mit Kolleginnen auf einer Dildo-Party. Ihre erste. Sie erzählte angeregt.

Drei der Männer versuchten, ein alternatives Gespräch über Autos, Schlagbohrmaschinen und Fußball zu führen, nur Klaus lauschte den Damen mit süffisantem Grinsen.

Caro ergriff das Wort. „Also, ich war auch schon ein paarmal auf Dildo-Parties, und das letzte Mal da hatte ich meine Tante dabei. Die wollte sowas auch mal machen. Und das war genau die Veranstalterin, wo Du auch warst.“

„Erzähl, was hat Deine Tante gekauft?“ wurde Simi neugierig.

„Sie hat nichts gekauft. Aber der Witz ist doch, was für kommische Gedanken man bekommt, wenn jemand aus der Familie dabei ist. Wir wurden ja begrüßt mit ‚Ich hoffe ihr habt euch auch alle gewaschen!‘ – dabei ist klar, dass wir die Dinger nicht auf der Party ausprobieren.“

„Ja! Das ist der Witz, damit die Gäste locker werden, wie aus dem Rethoriklehrbuch.“

„Eben. Und was denk ich in dem Moment? ‚Oh mein Gott! Tante Inge ist bestimmt nicht rasiert!‘.“

Die Damen prusten los, Klaus grinst breit.

„Was ist, Klaus, hast Du nen Clown verschluckt?“ fragt Simi.

„Ich könnte dann auf eine Dildoparty gehen.“ erwiedert er.

Vier Frauen schauen ihn überrascht und fragend an.

„Ich bin rasiert.“

Einer Schrecksekunde des Schweigens später sagt Moni „Spinner. Ich hab Dich noch nie rasiert gesehen, Du hast immer einen Dreitagebart.“

Croissants

„Guten Tag.“

„Guten Tag, was darfs sein?“

„Ich hätte gerne zwei Croissants.“

„Ein Croissant der Herr, gerne“

„Ich sagte: zwei Croissants.“

„Äh, wie bitte?“

„Ich sagte: zwei Croissants.“

„Hier ist ihr Croissant, der Herr. Darfs noch etwas sein?“

„Ja, bitte noch ein Croisant.“

„Das können Sie mir nächstes Mal aber auch sofort sagen.“

AIDS

„Meine Mutter hat AIDS!“
„Was? Ach du Scheisse! Weiss sie, wo sie sich infiziert hat?“
„Papa.“
„Was? Er auch?“
„Ja, weil er ja mit jeder Praktikantin ins Bett geht, die sein Chef ihm zuteilt. Da hat er es her.“
„Wie hat deine Mutter es erfahren?“
„Eher zufällig. Weisst Du, da war dieser Versicherungsmakler.“
„Äh, ja?“
„Und mit dem hatte sie eine Affaire.“
„Und sie hatten ungeschützten Verkehr?“
„Nein aber sie wollen und als sie drüber sprachen und den AIDS-Test machen wollten, war meiner Mutter klar, dass sie AIDS von Papa hat.“
„Aber sie war beim Arzt, oder?
„Ja, sie war gestern beim Arzt.“
„Ach was. Und das Ergebnis war positiv?“
„Nein, das Ergebnis kriegt sie Freitag.“
„Aber der Arzt sagt, dass sie AIDS haben könnte?“
„Nein, der sagt gar nichts.“
„Und… und woher weiss sie dann schon das Ergebnis?“
„Glaub mir, sowas hat sie ihm Gefühl.“

Neueröffnung!

Liebe Gäste,

ich freue mich, sie in Kürze in unserem neu eröffneten Café begrüßen zu dürfen.

Wir, das Barista-Stories-Team, wollen Ihnen viel Unterhaltung mit kurzen Prosahäppchen bereiten. Die Absurditäten des Lebens, die amüsanten Pannen und herzlichen Geschichten, die sollen Sie hier zu lesen bekommen.

Wir stellen ein:

Blogger und Twitterer, die abseits ihrer bekannten Web-Identität einen Tummelplatz für Kurzprosa suchen. Kurzprosa, die in ihrem normalen Umfeld nicht passen würde – weil sie kein eigenes Blog führen wollen oder in ihrem eigenen Blog inhaltlich kein Platz für derartige Kurzprosa ist.

Agieren unter Pseudonym ist erwünscht und Vertraulichkeit wird garantiert.

Bewerbungen bitte an barista@baristastories.de

<3-lichst,
Ihr
Barista

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