Archive for November, 2010

Vor der Aula

Ich stand vor der Schulaula in der Schlange und wunderte mich, wie vertraut alles noch war. Als wären gar nicht 15 Jahre vergangen seit ich hier mein Abschlusszeugnis entgegen genommen habe. Seit damals hatte ich die Schule nicht mehr betreten. Ich war zwar einige Male daran vorbeigefahren, aber aus der Nähe hatte ich sie nicht mehr gesehen. Read the rest of this entry

Herbstmorgen

Warum die beiden am selben Tisch saßen weiss ich nicht. Er saß seit 12 Uhr dort und sie kam vermutlich gegen 13 Uhr ins Café, als gerade die Marienchule Schluss hatte und nur an seinem Tisch ein Platz ohne tobende Teenies frei war.
Jedenfalls kamen sie ins Gespräch. Also er, denn die Dame, mit der er sonst dort saß und sich unterhielt, war gerade im Urlaub. Read the rest of this entry

Telefonnummern

Als meine erste erntshafte Beziehung begann hatten Telefone noch Wählscheiben.

Die Rufnummernübermittlung war noch nicht eingeführt, weil kein Telefon ein Display hatte, um die Nummer des Anrufers anzuzeigen. Telefonnummern hatte man im Kopf oder im Adressbuch. Und wenn man angerufen wurde, meldete man sich mit Namen und der Anrufer nannte den seinen.

Das ist heute anders. Wir speichern die Telefonnummern in Handy und Schnurlostelefon ein, und wenn mal ein Anruf eingeht, zu dem das Telefon keinen Namen nennen kann, runzeln wir die Stirn. Read the rest of this entry

q.e.d.

„Boah, haste gesehen? Die ‚kannste nicht woanders stehen und scheisse aussehen‘-Gruppe ist gelöscht.“

„Hä? Wieso das denn?“

„Das war doch ne Kampfgruppe, die Gegengruppe für irgendwelche Weltverbesserer. Oh, Tanja hat mich gegruschelt.“

„Ach genau, und die Weltverbesserer Sind wo? Welche Tanja meinst Du?“

„Die Ex vom Micha. Die Weltverbesserer find ich grad nicht.“

„Welcher Micha? Haste die Gegengruppe gegen die Gegen-Schalke-Gruppe schon gesehen?“

„Der Micha aus dem Matheleistungskurs.“

„Ach der. Hm. Hatten wir in Mathe eigentlich was auf?“

„Ja, den Satz des Pythagoras beweisen.“

„Beweisen? Was soll das denn sein?“

„Mensch, Beweisen ist das, wo du am Ende immer ‚f.a.q.‘ drunterschreibst.“

Die Geige

Ja, Frau Schneidereit, dass ich sie hier treffe, meine Güte, wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Letzte Woche? Nein! Doch? Meine Güte! Meine Güte!
Ist  das Wetter nicht furchtbar? Ach, gestern schien die Sonne?
Wissen Sie, diese Pianistin, die letzte Woche in der Konzerthalle auftreten sollte, die war zum Glück krank. Die lebt ja mit den Wölfen. Einem ganzen Rudel. Im Winter übt sie Klavier und im Sommer lebt sie mit den Wölfen. Wieso zum Glück krank?
Ich hatte doch keine Zeit, dem Konzert beizuwohnen. Ich war nämlich in Cottbus auf dem Klassentreffen, das war wirklich schön, auch die Stadt wiederzusehen, nach all den Jahren, und alle Schäden aus dem Krieg sind inzwischen beseitigt.
Wie geht es eigentlich Ihrem Mann? Tot? Mein aufrichtiges Beileid, wann ist es denn passiert? Vor drei Jahren? Meine Güte! Meine Güte!
Wissen sie, ich komme aus Cottbus, und meine Eltern haben damals auch dort gelebt und ich bin dort zur Schule gegangen. Und zum Klassentreffen bin ich mit der Bahn gefahren. Dieser neue ICE ist ja ein sehr schneller Zug, der fährt auf der Strecke nach Cottbus über einhundert Stundenkilometer, weil es sonst zu gefährlich wäre.
Meine Geigenschülerin für Fünfzehnuhr hat abgesagt, weil sie ihre Geige bei der Großmutter vergessen hat.
Und diese Pianistin, die lebt ja mit den Wölfen, das finde ich faszinierend, ich habe da auch einen Bildband zu Hause, den kann ich ihnen gerne leihen.
Als Kind, als ich damals Geigenunterricht hatte, habe ich einmal meine Geige im ICE vergessen, aber der freundliche Schaffner rief hinter mir her, als ich schon auf der Plattform stand und aussteigen wollte, oder war es ein anderer Fahrgast? Ich sehe den Moment noch vor meinem geistigen Auge, der ICE, der Rauch der Lok,
Das Klassentreffen war zum 50. Jubiläum der Volksschule, und ich sage auch meinen Musikschülern immer wieder, dass die Volksschule sehr wichtig ist, das sind ja die Grundlagen von allem, wenn man die Volksschule nicht abschließt, tut man sich später auf dem Gymnasium schwer.
Was sagen Sie denn zum Bundespräsidenten? Ist das nicht furchtbar? Übertrieben? Ja, völlig übertrieben, wie er da kritisiert wurde! Was, Rücktritt? Meine Güte! Meine Güte! Das hatten wir schon eine Ewigkeit nicht mehr, dass ein Bundespräsident zurücktritt! Ach, noch nie? Meine Güte, meine Güte!
Ach, Frau Schneidereit, es war schön, mal wieder mit ihnen gesprochen zu haben, ich muss jetzt aber wirklich weiter, bei all den schlimmen Sachen, die in letzter Zeit passieren, weiss ich gar nicht, wo mir der Kopf steht, der Rücktritt Ihres Mannes, der Tod des Bundespräsidenten, dieses furchtbare Wetter… Auf wiedersehen, Frau Schneidereit, auf Wiedersehen, meine Güte, meine Güte.

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